Nestlé S.A.: Focus on Shareholder Value – Goodbye Triple-A

Der Trend zu tieferen Corporate Credit Ratings setzt sich fort. Jüngstes Paradebeispiel ist der Schweizer Nahrungsriese Nestlé. Mit der Publikation guter Halbjahreszahlen hat der international ausgerichtete Konzern am 15. August 2007 über ein 3-Jahres-Aktienrückkaufprogramm im Umfang von CHF 25 Mrd. informiert. Mit diesem gigantischen Aktienrückkauf vollzieht die Nestlé-Führungsmannschaft einen bemerkenswerten Paradigma-Wechsel und akzeptiert tiefere Bonitätseinstufungen. Während die Aktien euphorisch auf die Unternehmensnachrichten reagierten, weiteten sich die Risikoprämien von Nestlé-Anleihen gegenüber erstklassigen Staatsanleihen leicht aus. Der Kurs der Nestlé-Aktien schoss allein am Tag der Ankündigung des Aktienrückkaufprogramms von CHF 451.75 auf CHF 494.50 in die Höhe (+ 9.5%). Die Börsenkapitalisierung der grössten Schweizer Unternehmung erhöhte sich somit auf einen Schlag von CHF 177.6 Mrd. auf CHF 194.4 Mrd. (+ CHF 16.8 Mrd.); notabene in einem schwierigen Börsenumfeld, das von einer Angst vor einer globalen Kreditkrise geprägt ist. Ist es wirklich so einfach Wert für die Aktionäre zu generieren?

Nestlé hat den Bondinvestoren jahrzehntelang viel Freude bereitet: Die Firma war wie ein Fels in der Brandung, wenn die Börsen von schweren Krisen heimgesucht wurden. Nestlé-Bonds waren auch als Referenzwerte sehr beliebt, z.B. für die relative Bewertung anderer Unternehmensschuldner. Und keine Schweizer Gesellschaft verfügte länger über eine Ratingeinstufung als der Nahrungsmittelkonzern aus Vevey. Bereits 1974, zur Zeit der ersten Ölkrise, verlieh die amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s der Nestlé S.A. das höchste Bonitätssiegel: Das Triple-A. Andere renommierte Ratingagenturen folgten 1985 (Moody’s), 2000 (DBRS) und 2003 (Fitch). Alle Ratingagenturen belohnten die kluge Unternehmenspolitik von Nestlé mit der Höchstauszeichnung. Ausgewählte Akquisitionen und eine umsichtige Finanzierungsstrategie haben gleichzeitig zu einem fast beispiellosen, erstklassigen Track-Record geführt: Vor dem 18. August 2007 hat Nestlé viele Konjunkturzyklen durchlebt, aber nicht eine einzige Rating-Rückstufung hinnehmen müssen. Die Rating-History von Nestlé war makellos. Mit dem eben angekündigten, ausserordentlich hohen Aktienrückkaufprogramm stürzt sich das Unternehmen nun aber selbst vom obersten Rating-Sockel. Die Position der Obligationäre wird sich entsprechend verschlechtern (siehe Bondholder Value®). Den Ratingagenturen blieb keine Wahl; sie haben umgehend mit einer Salve von Rating-Downgrades auf die neue Unternehmensphilosophie reagiert. Interessanterweise hat Standard & Poor’s, die das Kreditprofil von Nestlé am längsten analysiert, die Ratingeinstufung als einziges Institut gleich um zwei Ratingstufen, auf Double-A, zurückgestutzt. Die Schweizer Banken, welche eigene Rating-Noten vergeben, haben bis jetzt noch nicht auf die verstärkte Shareholder-Value-Orientierung von Nestlé reagiert. Wir sind überzeugt, dass entsprechende Bonitätsanpassungen auch hier unumgänglich sein werden. Derweil setzt sich auf internationaler Ebene der Trend zu weniger Top-Ratings unvermindert fort. Die Systemrisiken dürften mittelfristig graduell zunehmen und die Volatilität von Finanzaktiva steigen. Die Nestlé-Aktien überzeugten viele Jahrzehnte mit einer hohen Visibilität und waren bei Investoren aufgrund ihres defensiven Charakters (ausserordentlich starkes Finanzprofil) sehr beliebt. Sowohl die Shareholder als auch die Bondholder von Nestlé werden sich in den nächsten Jahren an etwas offensivere Kursverläufe gewöhnen müssen. Die Bonität von Nestlé ist immer noch sehr gut, aber selbst hier gilt: «There’s no such thing as a free lunch».

Nestlé ist auf alle Fälle aus eigenem Antrieb vom Rating-Olymp abgestiegen und nicht etwa aus dem Rating-Paradies vertrieben worden. In den jüngsten Pressemitteilungen von Nestlé wird die Serie von Rating-Rückstufungen mit keinem Wort erwähnt. In Sachen Creditor Relations & Creditor Communications muss Nestlé, das zeigt sich bereits heute, dazulernen. Eine neue Ära hat begonnen - so schnell geht das.

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